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Barbara Linnenbrügger: etwas tun, an dem die Seele reift

Queen Califias Magical Circle

Barbara Linnenbrügger beschreibt ihre Eindrücke über eine Reise zum letzten Kunstwerk von Niki de Saint Phalle. Erschienen in: ab40 1/2009 www.ab40.de.

Niki de Saint Phalle lebte die letzten Jahre ihres Lebens in San Diego, Kalifornien. Dort schuf sie ihr letztes Kunstwerk, Queen Califias Magical Circle, ein monumentales Werk, ähnlich dem Tarot-Garten in Italien, das in Deutschland kaum bekannt ist. 25 Frauen unternahmen auf Einladung von Dagmar von Garnier im November 2008 eine spezielle Reise zu diesem Kunstwerk und sahen auch eine Reihe anderer Skulpturen der Künstlerin rund um San Diego.

Queen Califias Magical Circle erlebte seine mit großer Aufmerksamkeit erwartete Eröffnung im September 2003, als die Schöpferin dieses grandiosen Kunstwerks, Niki de Saint Phalle, schon nicht mehr lebte. Niki de Saint Phalle hat sich selbst hier ein Zeichen ihres Übergangs in andere Welten gesetzt: Königin Califia hält den blauen Vogel hoch erhoben auf der rechten Hand, die Schwingen sind weit geöffnet, der Blick ist zuversichtlich in den strahlend blauen kalifornischen Himmel gerichtet, zum Loslassen bereit.

Niki de Saint Phalle wurde 1930 in Neuilly an der Seine geboren. Sie wuchs in Frankreich und dann in New York auf. 1948 begann sie mit der Malerei, ging vier Jahre später zurück nach Europa und wurde 1961 als Mitglied der einflussreichen ?Neuen Realisten" international bekannt, einer Gruppe, zu der auch Yves Klein, Christo und Jean Tinguely, mit dem sie bis zu ihrem Tod künstlerisch wie privat eng verbunden war, gehörten. Niki de Saint Phalle ist auf der ganzen Welt durch ihre fülligen, leichten und fröhlichen Frauengestalten, die Nanas, und großräumigen Installationen bekannt. Hier gehören der Strawinsky-Brunnen unweit vom Centre Pompidou in Paris (1983), der Tarot-Garten in Garavicchio in der südlichen Toscana (1998), die Arche Noah in Jerusalem/Israel (2001) und die Grotte in Hannovers Königlichen Herrenhäuser-Gärten (2003) dazu.

Ich sitze lange unter Schatten spendenden Bäumen vor Califias Reich und stimme mich auf die Begegnung mit diesem magischen Rund ein. Königin Califia ist schon von weitem golden glitzernd mit dem blauen Vogel auf erhobener Hand zu sehen: Califianische Freiheit balanciert auf weisen Adlerschwingen. Mir scheint, in vieler Hinsicht ein komfortables Gefährt! Durch einen labyrinthartigen Weg betrete ich dieses Reich und begegne mir auf der Schwelle in vielfachen Spiegelungen selbst und sehe: Ich bin da!

Die Erinnerung wird wach an die Besuche im Tarot-Garten, wo ich durch die von Mario Botta gestaltete Schwelle schlüpfe, um in Niki de Saint Phalles Reich der Tarotweisheiten einzutauchen. Hier wie dort eine ähnlich karge Landschaft, hier wie dort symbolträchtige Skulpturen, die mich lachen lassen, die mein Herz berühren, die mir andere Welten eröffnen.

Mit 24 Frauen aus Deutschland und der Schweiz bin ich ?über den großen Teich" geflogen, zu einer Reise zum letzten Kunstwerk von Niki de Saint Phalle, nach San Diego, an die Westküste der USA. Eine erste Station führte uns ins Brooklyn-Museum in New York zu Judy Chicagos ?The Dinner Party". Dagmar von Garnier aus Frankfurt, Initiatorin des Frauen-Gedenk-Labyrinthes, hat diese Reise liebevoll und detailliert geplant. Ein komfortables Hotel in La Jolla, einem noblen Stadtteil von San Diego, gibt uns in diesen Tagen angemessene Herberge. Mein Zimmer mit Blick auf den Pazifik stimmt mich schon beim Sonnenaufgang auf diese wundervolle Landschaft ein. La Jolla, der Ort mit dem mildesten Klima der USA, der für Niki de Saint Phalle Leben bedeutete. Neun Jahre hat er ihr geschenkt, in denen sie nach schwerer Lungenkrankheit, die nur noch ein Leben an der Sauerstoffflasche ermöglichte, wieder die Freiheit des eigenen Atmens spürte und der ihr die Freiheit gab, noch viele inspirierende Werke zu schaffen. Hier ist Niki de Saint Phalle, wie Jane Shenefield, Mitarbeiterin der Niki Foundation, uns erzählte, friedlich in Begleitung von vertrauten Menschen aus dieser Welt gegangen. Hier begeben wir uns auf die Spurensuche nach den Kunstwerken der letzten Schaffensperiode der Künstlerin.

Queen Califias Magical Circle liegt im Kit Carson Park in Escondido. Er ist ein kultureller Meilenstein in Kalifornien. Hier können BesucherInnen ohne Eintritt zu zahlen herumspazieren, spielen, berühren und träumen. Niki de Saint Phalle versteht den Garten als Hommage an Kaliforniens mythische und geschichtliche Ursprünge und seine kulturelle Vielfalt und sie hat ihn den Kindern geschenkt. So Susan Pollack, Kunstbeauftragte der Stadt Escondido, die für das Kunstwerk verantwortlich ist. Wir begegnen ihr und Jane Shenefield, der Archivarin der Niki Charitable Art Foundation, in Queen Califias Garten. Sie haben uns im Gespräch Hintergründe zum Kunstwerk und zu Niki de Saint Phalles letzten Jahren gegeben. Niki de Saint Phalle sagte selbst: ?Kalifornien war eine Wiedergeburt für meine Seele und ein Erdbeben für meine Augen ? Meer, Wüste, Berge, weit offener Himmel, strahlendes Licht und Weite des Raums. Ich habe einen anderen Lebensweg umarmt und habe meine Entdeckung der Landschaft in die Arbeit einfließen lassen."

Queen Califias Magical Circle, ein großes Rund von 36 Metern Durchmesser, wird von einer wellenförmigen Mauer umschlossen, über die sich große Schlangen miteinander spielend schlängeln. Nur einen Durchlass gewähren diese Hüterinnen von Califias Reich durch einen labyrinthartigen Weg, dessen Wände mit schwarzweißen und spiegelnden Kacheln gestaltet sind. Dieser Eingang ?zeigt an, dass du die Schwelle zu einer neuen, magischen Welt überschreitest ? die Welt deiner Vergangenheit, deiner Wurzeln, des Reiches deiner unbewussten Träume", so sagt es Marcelo Zitelli, Kurator und langjähriger Assistent der Künstlerin. Ich kann es nachempfinden, verirre mich in Nischen und Ecken, finde aber doch meinen Weg in die Mitte. Acht große Totem-Skulpturen, bis zu 6 Meter hoch, umgeben Königin Califia. Schützende Gottheiten, stilisierte Ungeheuer, geometrische Figuren, Totenschädel und Masken sind darauf zu sehen. Gestalten und Symbole, die einmal notwendige Rollen im Leben der Menschen hier spielten. Während Niki de Saint Phalle den Garten plante, vertiefte sie sich in die regionale Geschichte und in die kalifornischen Myhten. Sie wurden zu ?Ausgangspunkten, um phantasievolle Kreaturen zu schaffen, die die Vielschichtigkeit des Lebens feiern", so die Erklärung der Künstlerin. Einflüsse der südwestindianischen, mexikanischen, afrikanisch-amerikanischen und spanischen Kulturen sind unverkennbar. Niki de Saint Phalles erste Inspiration für den Garten entstand, als sie das Buch ?Assembling California" von dem Geologen John McPhee las. Darin wird die Legende der Königin Califia, einer schönen und mächtigen Amazonenkönigin, erzählt, die über die Insel Californien herrschte und ein Paradies von Gold und Reichtümern besaß. Die Künstlerin benutzte diese Bilder, wie sie sagt, ?um zu erinnern, wer wir sind und was wir zu unserer eignen kulturellen Geschichte beitragen". Sie möchte die Besucher ermutigen, ihren eigenen Vorstellungen und Assoziation nachzugehen.

Unter der Mittagssonne Südkaliforniens eröffnet sich mir im Rund der Mitte eine Farben- und Formenpracht, die es mir leicht macht, dem Wunsch der Künstlerin zu folgen. Obwohl viele Motive gerade der indianischen Kultur nicht meiner eigenen inneren Bilderwelt entsprechen, so entfalten sich, ähnlich wie im Tarot-Garten, sofort in meiner Phantasie Geschichten, Interpretationen und Sichtweisen. Ich rede hier mit einem Gecko, freue mich dort eine Nana mit Kind auf dem Schoß zu entdecken, weiter hinten grinst mich eine Maske aus tiefen Augenhöhlen unverschämt an, versucht mich zu erschrecken. Es ist die Vielfalt des Seins, des puren Lebens, das funkelt, sprüht und glitzert. Aber auch in matte Tontafeln geritzte Ornamente und Symbole bringen mich in Kontakt mit inneren Bildern und Gefühlen. Geschwungene Steinbänke laden zum Verweilen ein, um die ständig wechselnden Bilder in sich aufzunehmen. Aber mein Blick wird immer wieder auf das Zentrum des Gartens gelenkt. Hier thront die auf dem Adler reitende Königin Califia.

Queen Califia regiert aufrecht stehend auf einem fünfbeinigen, 4 Meter hohen Vogel. Durch die Beine des Adlers gehe ich unter den Vogel und betrete einen kleinen Dom mit kosmischen Symbolen am nachtblauen Himmel. Ein goldener, eiförmiger Brunnen bildet das Zentrum des Raumes, eine Referenz an Königin Califia. Niki de Saint Phalles immerwährendes Thema Geburt, Tod und Transformation kommt hier besonders zum Ausdruck. Sie sagte, dass sie Räume schaffen möchte, in denen alle Religionen vereint sein können, und hier schließt sie schamanische und matriarchale spirituelle Traditionen ein. Immer wieder finden sich entsprechende Symbole und Gestalten wie z. B. die Nana im Kreuz.

Califia?s Circle ist eine virtuose Präsentation von Mosaikkunst. Einzigartige Mosaikgestaltungen sind unverwechselbarer Bestandteil in Saint Phalles spätem Werk. ?Im Garten wurde eine weit größere Vielfalt von Mosaikmaterialien, die auf der ganzen Welt gesammelt wurden, verwendet als in allen anderen ihrer großräumigen Projekte", sagt Lech Juretko, der seit 1994 Saint Phalle?s Mosaikwerkstatt leitet: ?Hier suchte Niki persönlich dutzende verschiedener Glassorten aus, variierend in Form, Farbe, Schattierung, Transparenz und Reflexionsgrad. Zum ersten Mal benutzte sie auch ein großes Sortiment von geschliffenen und gebrochenen Halbedelsteinen wie Travertin, Achate, Quarze und geäderte Türkise". Die Ergebnisse sind zauberhaft, immer wechselnd, da die Bewegung des Lichteinfalls, Wind, Farbe und Reflexion den Garten ständig verwandeln.

Immer wieder bin ich aufs Neue fasziniert von Niki de Saint Phalles künstlerischer Virtuosität, von ihrer immensen Vorstellungskraft und ihrer Verspieltheit. Sie wünscht sich von den BesucherInnen, dass sie ?berühren, sitzen, erforschen". Queen Califia?s Magical Circle soll ein Treffpunkt für Leute jeglichen Alters und aller Kulturen sein. Niki de Saint Phalle sagte: ?Ich fühle mich mit anderen Wesen verbunden, vielleicht sind das die Gründe, warum mein Werk verstanden wird von Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und mit sehr verschiedenen Lebenswegen."

Die dichte Atmosphäre, die das Kunstwerk ausstrahlt, erleben wir in persönlicher Begegnung mit Califias Reich in Gesprächen aber auch in ruhigen Tänzen, die wir unter Anleitung von Dagmar von Garnier tanzen. Im nächsten Jahr wird sie im November zu einer zweiten Frauen-Kunst-Reise auf den Spuren von Niki de Saint Phalle einladen.

Marella Caracciolo, eine Freundin von Niki de Saint Phalle, beschreibt ihr Leben und Wirken so treffend: ?Nikis Kreativität ist ansteckend. Sie bewirkt, dass andere nicht aus- sondern eingeschlossen werden. In Nikis Nähe fühlen sich die Leute frei, sie selbst zu sein." Das strahlt für mich auch Queen Califias Magical Circle aus. Als Kunst, die dem Leben aller Geschöpfe dient, schenkt Niki de Saint Phalle uns ihre Schöpfungen. Und so bin ich dankbar und glücklich, auf dieser Reise mir selbst ein Stück näher gekommen zu sein.

Frauen, die sich für die Wiederholung der Reise nach San Diego vom 28. Oktober bis 7. November  2010 interessieren, erhalten Informationen bei Dagmar von Garnier, Telefon 069 / 61 25 78.

Text zum Kunstwerk, herausgegeben zur Eröffnung von Queen Califias Magical Circle, aus dem Englischen von Ilse Plapp. www.queencalifia.org